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ti_leo liest From Hell: Kapitel 1 – Die Neigungen des jungen Mr. S.

Andeutungen… Ein Mr. Snickert soll gewusst haben, wer der Ripper ist. Zeitsprung, 40 Jahre in die Vergangenheit. Die Neigungen des jungen Mr. S. S wie Snickert. Wir schreiben das Jahr 1884. Tatsächlich. Ein Snickert und ein „junger Mr. Snickert“ treten auf. Der Junge hat ein Geheimnis. Er spielt ein doppeltes Spiel. Offiziell ist er Albert Snickert, aber wenn sie allein sind, nennt sein Begleiter ihn Eddy.

Alan Moore From Hell Comic Cover

(Bildquelle)

Here be SPOILERS!

Das 1. Kapitel umspannt mehrere Jahre. Albert lernt jemanden kennen, eine Bedienung namens Annie Crook. Sie wird schwanger. Es wird geheiratet. Alles nimmt ein böses Ende, als Alberts Geheimnis gelüftet wird. Er wird von Frau und Kind getrennt. Eddy ist Prince Albert Victor, Duke of Clarence and Avondale. Dieser „Eddy“, Mitglied des englischen Königshauses, steht (neben vielen Anderen) im Verdacht, hinter den Ripper-Morden zu stecken, allerdings ist er ein unwahrscheinlicher Kandidat. Annie Crook hat er nie geheiratet. Stattdessen ist er 1892 an der Grippe gestorben.

Ein paar Probleme, Albert / Eddy zu erkennen. Er sieht teils doch sehr verschieden aus. Allerdings ist er genau getroffen, schaut man sich historische Portraits an. Noch keine Ahnung, wo „From Hell“ genau hin will, aber ich bin gespannt.

ti_leo liest From Hell: Prolog – Die alten Männer am Strand

Am besten wird sein, ihr lest zuerst den Prolog zum Prolog. Da wird erklärt, wie es dazu kam, dass ich ein Exemplar von „From Hell“ in die Hände bekam, um ein bisschen darüber zu schreiben. Namentlich habe ich das dem Quitzi und den offenbar netten Menschen von Cross Cult zu verdanken. Genug Vorrede!

Alan Moore From Hell Comic Cover

(Bildquelle)

From Hell„, „ein Melodrama in sechzehn Teilen“, geschrieben von Alan Moore und gezeichnet von Eddie Campbell, beginnt sehr stimmungsvoll und unvermittelt. Direkt zu Beginn des Prologs („Die alten Männer am Strand) macht Moore klar, dass er keine leichte Kost liefert, sondern vom Leser Aufmerksamkeit fordert. Der Prolog ist handlungsarm, aber wer genau liest, hat das Gefühl einer enormen Tiefe.

Spannend, beängstigend ist das, was man nicht sieht, was nur angedeutet wird. In der Definition des Wortes „Autopsie“, die Moore dem Comic voranstellt. Autopsie kann laut dem Zitat „Öffnung und Untersuchung einer Leiche zum Zwecke der Feststellung der Todesursache“, aber  auch „Jede Art kritischer Analyse“ bedeuten. Womit mit ziemlicher Sicherheit zwei Ebenen von „From Hell“ angedeutet werden: Einerseits eine Art faktische Wiedergabe des Jack The Ripper-Mythos‘, eine Suche nach dem wahren Jack vielleicht, andererseits aber auch die Frage nach dem Jack in uns oder in bestimmten Zeiten. Wir verfolgen das Gespräch zweier alter Männer, die Tagespolitik in England etwa 1900 September 1923 betreffend. Es geht um Kommunismus, um Klasse, um Umsturz. Einer der beiden (Abberline) ist eher konservativ, sein Gesprächspartner (Mr. Lees) ist hingegen neophil. Das Gespräch wird kurz unterbrochen, als sie eine Prostituierte bei der Arbeit erwischen. Danach wird es persönlich. Die beiden Andeutungen bezüglich eines alten Falles und fragen einander, ob sie noch Schuldgefühle hätten. Etwas lief vor Jahrzehnten wohl nicht ganz sauber und es hat etwas mit „Jack“ zu tun. Beide wirken resigniert.

Jack Jack Jack. Was oder wer auch immer er ist – um ihn kreist irgendwie alles. Mal sehen, ob es so bleibt und was Moore uns über „Jack“ zu sagen hat.

Schon jetzt scheint klar, dass Moore mit From Hell einen zeithistorischen Comic schreibt, mit vielen Anspielungen. Die Zeiten sind düster, Unheil liegt in der Luft. Man weiß nur noch nicht, wie es sich äußern wird. Krieg? Niedergang? Totschlag und Mord? Gar all das zusammen? Fest steht, dass Moore den Comic im Kontext verstanden haben will. Unklar oder offen, ob im Kontext der damaligen Zeit oder der unsrigen, und diese Offenheit ist sicherlich beabsichtigt.

Die Zeichnungen von Eddie Campbell sind, wenn überhaupt, nur ganz kurz gewöhnungsbedürftig, sie passen einfach perfekt zur Stimmung und sind zeitlos. Sie wirken nicht modern, aber auch nicht altmodisch. Ich könnte unmöglich sagen, ob „From Hell“ 1980 oder 2010 gezeichnet wurde. Interessant ist wie cinematisch „From Hell“ beginnt. Die Kamera folgt nicht den Charakteren, sondern sie laufen quasi ins Bild. Im Vordergrund eine tote, halb verweste Möwe. „From Hell“ richtet sich inhaltlich und ästhetisch klar an Erwachsene und ist nichts für Kinder, soviel lässt sich ebenfalls zu Beginn schon sagen.

Im Vergleich zwischen englischer und deutscher Ausgabe fällt auf, dass der deutschen ein bisschen Flair und Lokalkolorit fehlt. Moore lässt seine Figuren Umgangssprache reden. Die geht der Übersetzung von Gerlinde Althoff ab. Stört mich aber nicht sehr, da die englische Ausgabe mir auf Dauer tatsächlich zu anspruchsvoll vorkommt und ich bin eigentlich ein geübter Leser englischer Romane. Die sprachlichen Feinheiten des Originals dürften unübersetzbar sein. Es lohnt sich aber, hin und wieder zu vergleichen.

Übrigens bin ich nicht der Einzige, der sich momentan an „From Hell“ wagt. Auf 9thart.blogspot liest jemand jeden Monat ein Kapitel, für die nächsten 16 Monate! Allerdings die englische Ausgabe. Falls ihr nicht genug „From Hell“- Lektüre bekommen könnt…

Hurra, es ist Megaquitzchenmittwoch – ti_leo liest „From Hell“ von Alan Moore: Prolog

Es ist Megaquitzchenmittwoch. Quasi. Genau genommen war der Megaquitzchenmittwoch schon am 25.07. 2012. Megaquitzchenmittwoch bedeutet ganz grob, dass die Internetlieblingskatze Quitzi sich ein paar Gedanken gemacht hat, wie er sein Jubiläum (13 Jahre im Groben Unfug) gebührend feiern kann und auf die Idee verfiel, ein paar Bloggern persönliche Lesetipps zu geben. Dank ein paar netten Verlagen sogar inklusive Leseexemplaren.

Quitzi

Ich bin dabei und habe „From Hell“ von Alan Moore (das ist der mit dem Bart, „Watchmen“ und „V for Vendetta“ habt ihr vielleicht mal gehört) vor mir liegen. Geschätzt ungefähr 7000 Seiten Comic. Schwarzweiß. Gezeichnet von Eddie Campbell. Verfilmt mit Johnny Depp. Ich hatte From Hell schon lang auf dem Kieker, ich mag Alan Moore, aber bisher war der Wälzer mir immer ungefähr 50€ zu teuer. Jetzt besitze ich den Comic in zwei Ausgaben. Deutsch und Englisch (der Comic zum Film). Die deutsche Version wurde mir netterweise von Cross Cult zur Verfügung gestellt. Die englische Ausgabe ist von Quitzi selbst. (Hoch lebe Quitzi.) Nun denn.

Bei einem Mammutwerk wie From Hell wird es nicht mit einem Blogpost getan sein, das wird eine langfristige Beschäftigung. Mit langfristigen Dingen ist es bei mir so ne Sache. Meistens vergesse ich sie. Aber ich werde From Hell lesen und versuchen, mehr oder weniger regelmäßig (vielleicht einmal pro Woche) darüber zu bloggen. Geplant ist ein Post nach jedem Kapitel. Jedenfalls blogge ich im Idealfall irgendwie bis zum Ende des Comics. Oder bis zum nächsten Megaquitzchenmittwoch. Aber das ist noch lange hin. All Hail The Quitzi.

Worum geht’s in From Hell? Soweit ich weiß, um Jack The Ripper. Ich kenn ja den Film. Ich nehme mal an, der Comic ist tiefgründiger. Moore philosophiert ja immer fleißig herum und nutzt die äußere Handlung oft nur, um bestimmte Ansichten oder Standpunkte klarzumachen und bestimmte Themen genau zu beleuchten. Ich bin gespannt.

Craig Thompsons Graphic Novel „Habibi“ – Tausendundeine Geschichte

Dank der freundlichen Menschen von Reprodukt hatte ich die Möglichkeit die deutsche Ausgabe von Craig Thompsons Habibi zu lesen. Craig Thompson hat für Blankets, eine autobiografische Coming-Of-Age-Story, viel Lob bekommen. Ich habe den Comic auch schon seit längerer Zeit im Auge gehabt, selbst aber nie gelesen, weil er leider nicht ganz billig ist. Für Habibi nahm Thompson sich sieben Jahre Zeit. Ob es sich gelohnt hat, könnt ihr hier nachlesen.

Craig Thompson Habibi

Mit fast 700 Seiten ist Habibi wirklich umfangreich geraten. Die deutsche Ausgabe kommt chic daher, mit reich verziertem Hardcover, Lesebändchen und guter Papierqualität. Habibi liest man eher auf der Couch oder im bequemen Lesesessel, für die kurze Lektüre in Bus und Bahn ist das gute Teil einfach zu schwer und sperrig. Dank der edlen Optik macht sich Habibi gut im Bücherregal.

Thompsons Zeichenstil gefällt mir sehr gut. Für Habibi ließ er sich von fernöstlicher Ornamentik und Kalligrafie beeinflussen. Seine Zeichnungen sind meist klar, aber detailliert, mitunter sind einzelne Seiten oder Panels richtige kleine Kunstwerke, in denen sich das Auge endlos verlieren kann. Wie Blankets ist Habibi komplett in schwarz und weiß gehalten, ich habe aber an keiner Stelle Farbe vermisst, ähnlich wie bei Terry Moore wirken Thompsons Zeichnungen in schwarz-weiß einfach besser. Ästhetisch ist Habibi absolut gelungen.

Zur Geschichte mag ich euch nicht zuviel erzählen, ich denke Habibi wirkt umso besser, je weniger man vorher darüber weiß. Thompson ließ sich von christlicher und islamischer Religion inspirieren und schuf vor diesem Hintergrund tausendundeine Geschichte um zwei Kinder und ihre Erlebnisse auf dem Weg zum Erwachsen werden. Das Alles wirkt irgendwie zeitlos und märchenhaft, aber immer wieder fügt Thompson Details ein, die klar machen, dass wir hier eben doch kein Märchen vor uns haben. Mitunter ist Habibi fast erschreckend brutal, aber die Brutalität passiert im Kopf des Lesers, nicht in den Zeichnungen. Verschiedene Zeitebenen werden auf gekonnte Art miteinander verwoben und es entsteht ein Geschichtenteppich, wie er in Comicform selten ist. Habibi ist zugleich eine Geschichte von der Liebe, den Religionen und vom Erwachsen werden. Thompson setzt sich mit Themen wie Umweltverschmutzung, Rassismus, Vergewaltigung und Kastration auseinander, er unternimmt Exkursionen in die Kalligrafie oder die Alchemie, aber das Alles kommt erstaunlich unanstrengend daher, was seinen Qualitäten als Geschichtenerzähler und Zeichner zu verdanken ist. Als jemand, dem Religionen eher fremd sind, hatte ich anfangs Befürchtungen, das könnte ein Problem darstellen, aber die wurden schnell zerschlagen. Thompson stellt auch für eigentlich nicht religiöse Menschen spannende Zusammenhänge her, er zeigt die Geschichten hinter der Moral und diese Geschichten sind spannend und zutiefst menschlich.

Ich bin von Habibi sehr begeistert. Wer einen gehaltvollen, wunderbar gestalteten, Comic sucht, liegt mit Habibi genau richtig. Habibi ist ein Roman, der als Comic daher kommt, eben im besten Sinne eine Graphic Novel. Unbedingt lesenswert!

Eine umfangreiche Leseprobe findet ihr bei Reprodukt, da könnt ihr euch auf über 20 Seiten selbst ein Bild davon machen, warum Habibi so toll ist.

Linktipp: A Conversation with Alison Bechdel | Gender Across Borders.com

Alison Bechdel, Schöpferin der sehr gelungenen Graphic Novel Fun Home (auch im Deutschen erhältlich: hier) im Interview. Wie ich finde, sehr interessant und erhellend. Man lernt einiges über die Frau hinter den Comics.

Habe Fun Home im Original gelesen und war sehr angetan. Ein schön melancholisches, ernsthaftes Stück autobiografischer Literatur, toll gezeichnet.

Bechdel setzt sich darin nach dem Tod ihres Vaters mit dem gespannten Verhältnis der beiden auseinander und versucht, zu ergründen, wie es dazu kam. Dank ihrer differenzierten Sicht kann es natürlich keine eindeutigen Schuldzuweisungen oder ein endgültiges Ergebnis geben, aber man folgt lesend gern in Richtung Erkenntnis, weil Fun Home wunderbar tragikomisch ist.

Bekannter wurde Bechdel wohl mit Dykes to Watch Out For, das habe ich selbst aber nicht gelesen.

(Danke für den Hinweis auf den Link an Mädchenmannschaft! Und falls sich jemand dran stört, dass ich hier unter Zuhilfenahme einer Seite des urheberrechtlich geschützten Materials Werbung mache: Bescheid sagen und ich lösche es sofort.)