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Wenn sie keine Ahnung hat, muss grad die Piratenpartei die Klappe halten

http://sh15.nordpiraten.net/component/content/article/269–wahlumfragen-wertlos.html

Momentan geistern vermehrt Blogbeiträge durchs Netz, in denen das Markt- und Meinungsforschungsinstitut Emnid (bzw. TNS Infratest, Infratest Dimap, wie auch immer die eigentlich genau heißen) kritisiert wird. Das ist an sich gar nicht verkehrt. Was mich stört, ist die schlechte Argumentation der Artikel, die offensichtliche Ahnungslosigkeit und das zu kurz Gedachte.

Nehmen wir exemplarisch den Artikel der Nordpiraten mal genauer unter die Lupe, damit klar wird, was ich meine:

Das Rätsel um den großen Unterschied der enormen Präsenz der Piratenpartei in den sozialen Netzwerken und im Internet insgesamt gegenüber dem, was die Meinungsforschungsinstitute zur vermeintlichen Wirklichkeit erklären, ist, zumindest was EMNID angeht, gelöst. In den „Sonntagsfragen“ von EMNID kommt die Piratenpartei nämlich nicht vor. So einfach ist das.

Wer nicht arg uninformiert ist, weiß schon ewig, dass bei der Sonntagsfrage nur die etablierten Parteien direkt erfragt werden, alle „Kleinparteien“ nur unter „Sonstige“ zusammengefasst werden. Das ist genormt, das muss so sein, wenn die Umfrage „repräsentativ“ sein soll. Das kann man falsch finden. Rätselhaft ist es nicht.

So schwer das für einige Piraten einzusehen ist: Die Piratenpartei ist klein und im täglichen Leben vieler (wahrscheinlich sogar: der meisten) Menschen kaum bis überhaupt nicht präsent. Wer nun nach den Piraten fragt, müsste gerechterweise auch nach DVU, NPD, Republikanern, MLPD, Tierschutzpartei, den Violetten und so weiter und so fort fragen. 27(!) Parteien insgesamt. Das würde die Befragung natürlich aufblasen und in die Länge ziehen. Das wiederum mögen die Anrufer nicht. Es geht um eine kurze, möglichst relevante Befragung. Das wird erreicht, indem man alle bedeutenden Parteien abfragt. Zu denen gehört die PP nicht. Es ist also ganz furchtbar verständlich und leicht zu erklären, warum die Piratenpartei nicht extra genannt wird. Sie wird einfach wie alle anderen Kleinparteien behandelt.

Warum ist die Piratenpartei im Netz so erfolgreich, offline aber nicht? Nun, sie ist eine Partei, die aus dem Netz kommt und deren Mitglieder im Netz aktiv sind. Sie kennt hier die Spielregeln. Dass sich diese nicht eins zu eins auf den Offline- Wahlkampf übertragen lassen, lernt sie gerade. Sie kämpft hier plötzlich gegen deutlich erfahrenere Parteien; braucht Geld, um Präsenz zu kaufen (siehe Sammlung für den Wahlwerbespot) und die Zielgruppe ist heterogener als im Netz. Sie muss, anders als im Netz, erst erklären, warum sie überhaupt für irgendetwas relevant sein sollte und stößt oft genug auf offene Ablehnung. Sie macht Fehler.

Der gesamte Wahlkampf läuft nach veränderten Regeln und die Piraten sind gerade erst dabei, diese zu erlernen und für sich zu nutzen. Wo sie online einen Wissensvorsprung besitzen, haben sie offline einen klaren Nachteil. Wer da ein Rätsel oder Schlimmeres sieht, muss ein ziemliches Brett vorm Kopf haben.  Niemand muss die Realität verbiegen, um festzustellen, dass die Piraten offline noch recht unsichtbar sind. Dafür brauchts keine Befragungen. Ihre Ideen sind noch nicht weit verbeitet. Man vertut sich da mitunter, eben weil sie im Netz überall sind. Irgendwelche dubiosen Verschwörungstheorien sind unnötig und peinlich. Sie zeugen von einer seltsamen Hybris, die sicherlich nicht gesund ist.

Kommen wir zu der ach so entlarvenden Aussage:

Hey

wollte nur mal Bescheid sagen, dass Emnid mich heute angerufen und die Sonntagsfrage gestellt hat. Die Piratenpartei wurde nicht aufgezählt. Ich hab dann gesagt, ich wähle die Piratenpartei. Kam dann zurück: „Was ist das denn, kenn´ ich ja gar nicht“ :)

Also ich glaub ihr müsst noch ein bisschen öffentlichkeitswirksamer werden oder Emnid bestechen, grenzt ja fast an Manipulation ;)

Genaugenommen entlarvt sich hier der Artikelschreiber. Da stehts doch: Wachsen, präsenter werden. So  einfach ist es. So unspektakulär. Dem Status der Kleinpartei und dem Fluch der Sonstigen müssen die Piraten aus eigener Kraft entkommen. Und danach sieht es im Moment sogar aus. Es besteht kein Anlass zu unhaltbaren Anschuldigungen. Man kann und sollte ganz sachlich bleiben. Die Sonntagsfrage taugt nichts als Aufhänger; jetzt krampfhaft einen Aufreger daraus zu stricken, schadet dem Image.

Was am meisten schadet, ist aber das offensichtliche Unwissen über Hintergründe der Meinungsforschung. Emnid wird angegriffen, das ist legitim. Aber die Gründe sind falsch und zeugen von Mangel an Beschäftigung mit dem Thema. Das ist unverzeihlich und zutiefst peinlich, bei einer Partei, die oft genug und berechtigterweise, die Uninformiertheit etablierter Parteien kritisiert. Da diesbezüglich Nachholbedarf zu bestehen scheint, will ich die zentralen Fehlannahmen ganz kurz richtigstellen:

1. Die Sonntagsfrage ist starr formuliert. Das ist wichtig, damit jeder genau dieselbe Frage gestellt bekommt. Keinerlei Veränderung ist zulässig. Tendenziös ist sie also eben nicht, sie wäre es, wenn nur die Piraten hinzugefügt werden würden. Richtig ist: Die Fragestellung macht es kleinen Parteien schwer,  „nach oben zu kommen“, da erst gefordert wird, dass man sichtbar wird, im täglichen Alltag aller Bürger, bevor man abgefragt wird. Die Sonntagsfrage taugt nicht als „Werbung“ für kleine Parteien. Das ist halt so, auch wenn es einem nicht passt.

2. Der Interviewer hat nur Fragen zu stellen. Seine Meinung darf er nicht äußern, auch wenn er direkt gefragt wird, da dies eine Beeinflussung und Verfälschung sein könnte. Der Interviewer im Zitat hat demnach einen Fehler gemacht, aber komplett anders als dargestellt. Im Idealfall würde der Interviewer keine Partei kennen und keine Vorlieben haben, dann kann er niemanden bewusst oder unbewusst beeinflussen. Er soll nichts wissen, ist eine weiße Wand, die nur Antworten aufnimmt. Er unterhält sich nicht, er befragt. Das ist das Ziel seriöser Meinungsforschung, das wird dort vermittelt und auch regelmäßig kontrolliert und, bei Ausrutschern wie dem im Zitat, sanktioniert. Skandalös ist an der Aussage nichts, diese Unkenntnis wirkt sich logischerweise nicht aus, ist aber -und das ist viel interessanter- bezeichnend. Es mangelt der PP an Bekanntheit, immer noch. Löst das, statt euch in Verschwörungsgeschwätz zu verlieren.


Wo Kritik sinnvoller ansetzen könnte:

An der Sonntagsfrage allgemein. Ist sie noch zeitgemäß? Kann man sie verbessern?

An Telefonumfragen: Sind sie in Zeiten des Internets noch zeitgemäß?

An der Aussagekraft solcher Studien, also an Meinungsforschung allgemein.

Und vor allem: An der mangelnden Offline- Präsenz der PP. Nicht auf die anderen einhauen und sich dabei lächerlich machen, sondern etwas ändern, wäre die bessere Strategie.