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2012 in Comics

2012cover

Es folgt mein persönlicher Rückblick auf das Jahr 2012. Auf die Idee hat mich Carlito von Yay, Comics! gebracht. Carlito hat sich die Mühe gemacht, sowohl Produzenten als auch Händler und Fans von Comics um ihren persönlichen Jahresrückblick zu bitten. Ich wurde auch interviewt (im „Archiv“ des Steglitzer Comicstammtisches, also known as: @TiberiusTarantes Arbeitszimmer), hab aber gar nicht viel zu sagen gehabt. Daher hier jetzt ein etwas ausführlicheres Resümee.

1. Vertigo Comics baut ab

Vertigo Comics hat der Neustart der DC 52 nicht gut getan. Indem DC ein paar Charaktere zurück holte, die zu den erfolgreichsten Vertigos zählten („Swamp Thing“, „Animal Man“, „Hellblazer“) ging viel Potential verloren, das erst wieder erarbeitet werden will. Der Weggang von Karen Berger, quasi DER Frau hinter Vertigo, macht dieses Unterfangen bestimmt nicht leichter. Es ist Vertigo 2012 nicht gelungen, neue Impulse zu setzen. Ich lese fast nur schon länger laufende Reihen („Fables“, „Unwritten“, „Sweet Tooth“). Ausnahmen: „Punk Rock Jesus“, eine sechsbändige Mini-Serie von Sean Murphy und „Saucer Country“. Beide Serien sind ziemlich gut, aber keine gehört zu meinen Jahres-Highlights. Zumal keine dieser Serien mich durch 2013 begleiten wird. „Sweet Tooth“ ist beendet, „Saucer Country“ ist beendet. „Punk Rock Jesus“ ist beendet. Harte Zeiten für Vertigo. Ich hoffe, der Verlag bleibt uns trotz Schwächephase erhalten. Sicher ist das momentan nicht.

2. Don’t panic!

2012 war trotzdem kein schlechtes Jahr für Comicfans. Was Vertigo nicht lieferte, teilten sich Image Comics und Boom! Studios auf. Beide Verlage haben 2012 eine Unmenge guter bis sehr guter (Mini-)Serien auf den Markt geworfen, hoffentlich auch entsprechend erfolgreich. Besonders hervorzuheben ist hierbei „Saga“ von Vaughan und Staples, für viele Menschen, mich eingeschlossen, eines der Highlights des Jahres 2012. Weitere persönliche Highlights: „The Hypernaturals“ (Boom), „Higher Earth“ (Boom), „Happy“ (Image). Es erscheinen nicht weniger gute Comics, es wird nur von anderen Verlagen geliefert. Hefte wie „Mara“ oder „The Massive“ (beide von Brian Wood) oder „Ghost“ von Kelly Sue DeConnick wären vor ein paar Jahren perfekt im Portfolio von Vertigo Comics gewesen. Jetzt kommen sie eben von Image und Boom und Dark Horse.

Apropos Dark Horse: Auch Dark Horse hatte 2012 viel Interessantes zu bieten: „Alabaster: Wolves“, „Mind MGMT“, „The Creep“, „47 Ronin“, „The Massive“ und „Ghost“ kann man bedenkenlos jedem Comicfan ans Herz legen.  Ein paar davon habe ich euch hier im Blog ja bereits vorgestellt.

Lobend erwähnen will ich unbedingt noch das leider eingestellte Format „Creator-owned Heroes“ von Image Comics. Ähnlich wie „Dark Horse presents“ eine Anthologie, in der über 2-3 Hefte verschiedene kurze Geschichten erzählt werden. Fand ich unterstützenswert, hatte ich im Abo. „Dark Horse presents“ lege ich euch ausdrücklich ans Herz. Kauft’s euch, bevor es auch noch eingestellt wird. Dark Horse startet viele seiner neuen Serien in Dark Horse presents und veröffentlicht die Stories später als Nullnummern. Wer also ganz vorn mit dabei sein will, kann sich einen guten Überblick über die nähere Zukunft von Dark Horse machen.

Oni Press hat endlich den zweiten Storyarc von Greg Ruckas „Stumptown“ veröffentlicht. Hat mich nicht total vom Hocker gerissen, ist aber immer noch hochwertig. Dex, die Privatdedektivin, ist einfach ein spannender Charakter.

Auch IDW Publishing hat Gutes zu bieten, gelesen habe ich allerdings nur wenig davon. Ist mir etwas zu nischig, aber wahrscheinlich gar nicht schlecht, vor allem für Serienfans (Doctor Who, Star Trek). Toll: Die „Womanthology Space“, eine Geschichtensammlung, finanziert via Crowdfunding und produziert ausschließlich von Frauen. Wie verschieden Frauen Science Fiction schreiben (und zeichnen) ist sehr interessant, auch wenn die Qualität der Stories etwas schwankt. Die Einnahmen gehen an gemeinnützige Einrichtungen. Noch ein Grund, diesen Comic zu lesen und damit das Projekt zu unterstützen.

Besondere Erwähnung verdient sich Valiant Entertainment . Die sichern sich grad mit richtig guten Comics mit Wiedererkennungswert ihren kleinen Teil vom großen Comickuchen. „Bloodshot“, „Shadowman“, „Harbinger“, „Archer & Armstrong“ und „X-O Manowar“ machen vielleicht auf den ersten Blick nicht viel her, erzählen aber tolle, fesselnde Geschichten und wirken frisch und unverbraucht.

Terry Moore („Strangers in Paradise“, „Echo“), einer meiner Lieblingszeichner, arbeitet weiter an „Rachel Rising“, einer coolen, mysteriösen Geschichte um eine junge Frau, die eines Nachts im Wald aufwacht und nicht weiß, was geschehen ist. Dem Comic wünsche ich auch größere Aufmerksamkeit. Leider schreckt der schwarz-weiße Zeichenstil wahrscheinlich viele Leser ab. Die verpassen dann aber einen wirklich schönen Comic, der im Selbstverlag erscheint.

3. Die „Großen“ liefern

Der Neustart war für DC Comics anscheinend ein voller Erfolg. Die Comics sind in weiten Teilen gut und sie verkaufen sich – Mission accomplished. Ich lese „Animal Man“, „Swamp Thing“, „Frankenstein – Agent of S.H.A.D.E“, „I,Vampire“, „Demon Knights“, „Wonder Woman“ und „Batwoman“ immer wieder gern. „Frankenstein“ und „I,Vampire“ wurden leider unlängst gecancelt. Lese auch noch ein paar andere Reihen, aber die sind qualitativ nicht auf demselben Niveau, sollen daher hier nicht erwähnt werden.

Eher enttäuschend fand ich „Before Watchmen“. Einzelne gute Comics konnten nicht darüber hinweg täuschen, dass die Reihe eher belanglos daher kommt. War insgesamt unnötige Geldmacherei.

Marvel hat es in der zweiten Jahreshälfte geschafft, dass ich erstmals was von ihnen lese. Die neue „Captain Marvel“, geschrieben von Kelly Sue DeConnick (meine persönliche Lieblingsautorin 2012) ist einfach supergut. Ich würde sagen ein „Must-Read“! „FF“, gezeichnet von Mike Alldred sieht ebenfalls sehr vielversprechend aus.

4. Ausblick:

2013 wird super. Hoffentlich wird „Trillium“, der neue Comic von Jeff Lemire ganz großartig. „Die letzte Liebesgeschichte“, die Zeiten überwindet und letzlich in den Untergang führt, klingt jedenfalls spannend. Vielleicht erlebt Vertigo Comics seine Renaissance. Falls nicht, ist es auch nicht schlimm, solange die anderen Verlage ihr Niveau mindestens halten. Von DC und Marvel wünsche ich mir, dass sie weiterhin guten Mainstream und die eine oder andere wirklich sehr gute Reihe liefern. Die Einstellerei nervt zwar ein bisschen, aber solange die neuen Reihen, die die eingestellten ersetzen, von besserer Qualität sind, beklage ich mich nicht.

DC New 52: Animal Man / Swamp Thing Crossover: Prolog zu „Rotworld“ (Hefte 10 – 0)

Lange hat es gedauert, bis Animal Man Buddy Baker und Swamp Thing Alec Holland, beide eher Vertigo- als DC-Comics-Helden, endlich aufeinander trafen. Hat sich das Warten gelohnt?

Animal Man #0 Cover

(Bildquelle)

Animal Man trifft auf Swamp Thing. Zwei Figuren, deren beste Geschichten eng mit Vertigo Comics verbunden werden, sind seit dem Neustart zurück bei DC. Geschrieben von Scott Snyder (Swamp Thing) und Jeff Lemire (Animal Man) laufen beide Reihen zu alter Form auf und gehören für mich zu den Highlights von DC. Ich war also sehr gespannt auf das Crossover. Dass ich beide Reihen im Abo habe, versteht sich von selbst.

Swamp Thing #0 Cover

(Bildquelle)

Inhaltlich geht es um Red, Rot und Green, die Kraft von Fleisch/Fauna, Niedergang und Natur/Flora, die sich in Form ihrer Avatare mehr oder weniger ewig bekriegen, um ein fragiles Gleichgewicht zu erhalten, das in etwa unserer Realität entspricht. Momentan hat the Rot die Oberhand und es sieht schlecht aus für Animal Man (Red) und Swamp Thing (Green).

Im Animal Man Annual #1 treffen zwei ältere Inkarnationen von Green und Red im Kampf gegen the Rot aufeinander. Es gelingt, the Rot zurückzuschlagen, aber nur sehr knapp und unter Verlusten. Das Annual, geschrieben von Animal Man-Stammautor Jeff Lemire und gezeichnet von Timothy Green II  (sehr gut und zum speziellen Stil der Serie passend) ist gelungen. Eigenständig und in sich abgeschlossen, bietet es auch Altlesern genug Unterhaltung.

Weiter gehts mit Animal Man #10 und Swamp Thing #10. Alles nur Vorgeschichte zum Event, aber ohne diese Hefte wird man dem Event wahrscheinlich kaum folgen können. In Animal Man 10 (Jeff Lemire & Steve Pugh) tritt die „Justice League Dark“ auf, bleibt aber, ich muss es gestehen, eher blass. Swamp  Thing 10 ist allein schon durch die Zeichnungen von Francesco Francavilla spannend.

Swamp Thing #11 und Animal Man #11 lösen dann erst einmal ein paar Konflikte auf und am Ende von Swamp Thing gibt es dann auch einen Hinweis, dass Swamp Thing-Leser Animal Man #12 lesen sollten, wenn sie den Prolog zu „Rotworld“ lesen wollen. Der zweite Teil des Prologs lässt sich in Swamp Thing #12 nachlesen. Beide Comics erschienen am selben Tag.

Animal Man #12, geschrieben von Scott Snyder und Jeff Lemire, gezeichnet von Steve Pugh, endet für unsere Protagonisten ziemlich desaströs, der Leser wird dabei aber gut unterhalten. Dass Animal Man und Swamp Thing keine leichte Kost, sondern durchaus mal düster sind, überrascht sicher keinen Leser der Reihen.
Swamp Thing #12 ist dann Teil 2 des Prologs zu „Rotworld“ und – es lässt sich nicht anders sagen – macht alle Probleme nur noch viel schlimmer, die ganze Situation noch auswegloser. Die Auflösung ist schon sehr bitter. Großer Spaß für Fans! Die Zeichnungen von Marco Rudy finde ich eher schwach, aber sie sind immer noch auf sehr hohem Niveau.

Ebenfalls schon erschienen sind die Nummer 0-Ausgaben. (siehe Zero Month), die sich mit den Origin-Stories der beiden Charaktere beschäftigen. Tragen nicht wirklich etwas dazu bei, das kommende Event vorzubereiten, sind aber für sich durchaus spannend. Jeweils angelehnt an bereits bekannte Origin-Stories (die ich leider nicht gelesen habe, nur ansatzweise „kenne“) glaube ich, dass die Details und Motivationen sich doch teils deutlich unterscheiden.

Weiter geht es dann nächsten Monat, wenn ich es recht verstehe, weiterhin in beiden Serien.

Matt Kindt: Mind MGMT – Ein Mindfuck in Wasserfarben?

Falls ihr wie ich ein wenig traurig darüber seid, dass demnächst mit Heft 40 Jeff Lemires tolle Serie „Sweet Tooth“ zu Ende geht: Grämt euch nicht, etwas Ähnliches ist in Gestalt von „Mind MGMT“ schon unterwegs. Damit lehne ich mich zugegebenermaßen weit aus dem Fenster, sicher ist es nach zwei Heften natürlich noch nicht, aber wie ich finde: absehbar.

Matt Kindt Mind MGMT #1 Cover

Matt Kindts „Mind MGMT“ ist eine neue fortlaufende Serie von Dark Horse Comics, ein Verlag, der mir in letzter Zeit (neben Image Comics) immer besser gefällt. Was aber auch mit der, zumindest subjektiv, abnehmenden Qualität der Comics aus dem Hause Vertigo zu tun haben dürfte. Aber das nur am Rande.

Matt Kindt kennt ihr vielleicht als nagelneuen Schreiberling von „Frankenstein – Agent of S.H.A.D.E“ (welches er von Jeff Lemire, übrigens einem guten Freund, übernimmt) oder auch als Zeichner eines Story Arcs in dessen Sweet Tooth. Sein Debut hatte Kindt mit dem von Kritikern ziemlich gelobten „Pistolwhip“, habe ich selbst aber nie gelesen.

Mit „Mind MGMT“ schreibt Matt Kindt sowas wie einen Mysterythriller. Naja, eher einen Spionageroman mit geheimnisvollem Touch. Nein, eher ein ziemlich abgefahrener Mix aus Grant Morrissons (oder David Lynchs) überbordendem Einfallsreichtum, Verschwörungstheorie, Independent Comic und – nun ja – Sweet Tooth.

Die scheinbare Ähnlichkeit mag aber auch mit den Zeichnungen zusammenhängen, immerhin kommt es nicht allzu häufig vor, dass eine fortlaufende Serie in einem der großen Mainstreamverlage von einer einzigen Person erdacht, geschrieben und gezeichnet wurde. Und Kindt pflegt einen ähnlich unverwechselbaren Stil wie Lemire.

Beide gehen ähnlich expressiv zu Werke, zeichnen nicht sehr sauber, sondern mit viel Energie. Kindts Zeichnungen sind deutlich blasser als Lemires, wirken wie mit Wasserfarbe gezeichnet, aquarellartig. Die Stile ähneln sich auf den ersten Blick sehr, unterscheiden sich im Detail deutlich, wirken aber beide sehr indie. Daher wird der Vergleich mit Lemires Sweet Tooth wohl noch des Öfteren gezogen werden. Diesen Vergleich muss Mind MGMT aber keineswegs scheuen. Soviel lässt sich nach zwei veröffentlichten Heften bereits sagen. Wo Matt Kindt mit Mind MGMT genau hin will, ist unklar, aber dass es interessant werden dürfte, zeichnet sich schon deutlich ab. Das war bei Sweet Tooth damals nicht anders.

Die Story von Mind MGMT beginnt mit unerklärlichen Gewaltausbrüchen. Die ersten paar Seiten sind sehr beeindruckend, sie schaffen eine bedrückende, unangenehme Atmosphäre, fast ohne Text und ohne Protagonisten, die dem Leser Identifikationspotential bieten würden. Der Rest des Comics dreht sich größtenteils um Meru, einer erfolglosen Schriftstellerin, die mysteriöse Fälle von Amnesie untersucht. Wie kann es sein, dass alle Fluggäste eines Linienfluges (Flug 815) gleichzeitig unter Gedächtnisverlust leiden? Oder ein gesamtes Dorf? Parallel dazu laufen noch andere, teils viel kleinere Geschichten oder Teile von Geschichten, mal mit Bezug zum aktuellen Heft, mal mit Bezug zum nächsten.

Es geht um Agenten, um Menschen mit besonderen Fähigkeiten, im weitesten Sinne mit „Superkräften“. Mind MGMT ist eine Art CIA für besonders begabte Menschen, genaueres ist noch nicht bekannt. An den Rändern jeder Seite des Comics verstecken sich kurze Hinweise für Agenten, der sogenannte Mind MGMT Field Guide, der dem Geschehen mitunter noch eine weitere Ebene Bedeutung hinzufügt. Mind MGMT ist, liest man sorgfältig, ziemlich komplex. Das bemerkt aber nur, wer sich darauf einlassen will. Wer möchte, liest Mind MGMT auch einfach schnell und flüssig weg und wird gut unterhalten.

Fazit: lasst euch von den Zeichnungen bloß nicht abschrecken! Ihr gewöhnt euch dran. Folgt der interessanten Handlung. Achtet auf die liebevoll versteckten Details. Unterstützt ambitionierte Nachwuchsautoren, die den Sprung von Indie zu Mainstream wagen. Im Comic ist das schließlich gar nicht so verkehrt.

The Time For Talking Is Over


(aus Flashpoint – Frankenstein & the Creatures of the Unknown 01)

DC New 52 Animal Man Review: Diese Neuauflage müsst ihr lesen

Ich lese, wie bereits erwähnt, sonst keine Superhelden-Comics, sondern schätze Vertigo Comics sehr. Animal Man war eine der Reihen mit der dieser erwachsenere Ableger von DC Comics 1993 startete. Damals belebte Grant Morrison den eher blassen Buddy Baker neu, indem er zu der Zeit für Comics ungewöhnliche Themen wie Vegetarismus oder Tierrechte aufgriff.

Animal Man #1 Cover

Cover: Seit ich es zum ersten Mal sah, wusste ich: Den Comic muss ich haben. Das Cover ist herausragend gut. Ich will es gar nicht weiter beschreiben, schaut es euch an und ihr wisst, was ich meine.

Plot: Buddy Baker ist Familienmensch, neuerdings Schauspieler und er besitzt Superkräfte. Manchmal kämpft er, einfach nur aus Spaß, als Animal Man gegen das Böse. Buddy kann sich in das „Morphogenetische Feld“ der Erde einklinken und so Eigenschaften beliebiger Tiere annehmen. Schnell wie ein Jaguar, stark wie ein Löwe – bei Buddy Baker ist das wörtlich zu nehmen.

Als er Krankenhauskinder vor einem amoklaufenden Mann rettet (ohne ihn zu töten, Buddy ist ein sehr selbstreflektierender, moralisch handelnder Held) passiert etwas Unerklärliches: Aus Buddy Bakers Augen schießt Blut. Eine Untersuchung ergibt aber, dass er körperlich völlig gesund sei, also denkt Buddy sich nichts weiter dabei und kehrt in sein Heim, zu Frau und Kindern, zurück. Dort hat er einen verstörenden Traum, der die Grundfesten seiner Existenz bedroht. Kaum aufgewacht muss er feststellen, dass das Unerklärliche in seinen Alltag eingezogen ist.

Review: Ich sag’s gleich vorweg: Animal Man ist bisher mein Lieblingscomic unter den DC-Neustarts. Grant Morrison schuf mit Buddy Baker einen Superhelden mit ganz normalem Leben. Buddy war verheiratet, hatte Kinder und lebte in einem einfachen Haus. Genau hier setzt der von mir sehr geschätzte Jeff Lemire (unter Anderem Sweet Tooth) seine Geschichte an. Hat der Leser die erste Seite gelesen (ja, sie besteht wirklich ausschließlich aus einem Interview, das Jeff Lemire im Auftrag der Zeitschrift „The Believer“ mit Buddy Baker führt), dürfte er zuerst angesichts des Zeichenstils überrascht sein.

Der unterscheidet sich sehr von den bisherigen Neuveröffentlichungen. Kaum Hintergründe, eine reduzierte Farbpalette, seltsame Blickwinkel – das alles erinnert an den Vertigo-Stil und mag manchen DC-Fan abschrecken. Das wär aber schade, denn Animal Man ist der wohl experimentellste Comic der bisherigen DC New 52. So wie Jeff Lemire genau der richtige Autor für die Geschichte ist, ist Travel Foreman der perfekte Zeichner.

Es gelingt Lemire mühelos, uns Buddys Sorge um seine Familie nahezubringen, den Konflikt zwischen Superhelden-Dasein und Familienmensch aufzuzeigen und Buddys Kräfte zu illustrieren. Innerhalb weniger Seiten baut Lemire ein bedrohliches Szenario auf. Wenn Lemire ab der Mitte des Comics die Situation kippen und der Horror Einzug halten lässt, trifft das, dank der tollen Zeichnungen von Travel Foreman, auch den Leser unvorbereitet. In diesen angsteinflößenden Szenen zeigt Foreman, warum er der richtige für den Job ist.

Animal Man Dream Sequence

Ich habe selten und noch nie in einem Comic, eine solch „realistische“ Traumsequenz gelesen. Lemire gelingt es perfekt, das Sprunghafte eines Traums zu verdeutlichen, die Sinnhaftigkeit von Situationen, die eigentlich, für den wachen Geist, keinen Zusammenhang haben. Foreman illustriert die Traumsequenz nur in Grautönen und Rot. Lemire lässt den Traum unaufhaltsam immer alptraumartiger werden und der Leser ist erleichtert, als Buddy schließlich aufwacht. Und *zack* trifft einen unvorbereitet die letzte Seite und lässt einen schaudern.

Fazit: Ich sagte es bereits zu Beginn des Reviews: Dieser Comic ist supergut. Wenn ihr auch nur einen einzigen der DC-Neustarts kaufen wollt, holt euch Animal Man #1. Lemire und Foreman haben bereits mit Heft 1 einen modernen Klassiker geschaffen. Ich kann es kaum erwarten, der Geschichte weiter zu folgen. Ihr findet vielleicht, ich habe zuviele Superlative in diesem Review verwendet, aber Animal Man ist so gut. Lesebefehl!

Ich bin gespannt, wie andere Leser das sehen. Reviews und News rund um Animal Man und die anderen DC Neustarts findet ihr wie immer auf dem Weblog des Comicladens Grober Unfug. Berliner: Kauft euch das Ding!

Jeff Lemires Sweet Tooth – Ein bizarres Juwel

Sweet Tooth von Zeichner und Autor Jeff Lemire (Essex County, The Nobody) ist ein seltsamer kleiner Comic. Nachdem 2010 eine Menge Titel bei Vertigo Comics eingestellt wurden (unter Anderem Air, Greek Street), bangte ich ehrlich gesagt auch um Sweet Tooth. Zu wenig massentauglich erschien mir die Story um Gus und Jepperd. Aber ich irrte mich.

Jepperd ist ein verbitterter alternder Kämpfer, Gus ein unschuldiger Junge mit Geweih. Die Welt von Sweet Tooth ist postapokalyptisch. Eine ominöse Krankheit raffte die Mehrzahl der Menschen qualvoll dahin, sie kann jeden überall treffen. Kinder werden deformiert geboren. Schweinenasen, Geweihe, Grabehände – in der Welt von Sweet Tooth ist all das normal. Es ist eine düstere Welt, die Jeff Lemire zeichnet und beschreibt und so bleibt es nicht aus, dass Charaktere sich wandeln, verletzt werden, sterben. Die Beziehung zwischen Gus und Jepperd dient dabei als roter Faden. Wo das alles hinführen wird ist unklar, Lemire hat der Geschichte schon mehrmals eine neue, überraschende Wendung gegeben.

Alles in Allem also ein wirklich stranges Konzept. Aber es läuft nun schon seit zwei Jahren, scheint daher nicht nur mir zu gefallen. Das mag an den Zeichnungen liegen, denn die sind super. Man muss wohl Lemires irgendwie fahrig wirkenden Stil mögen, aber dann ist Sweet Tooth ein Fest für die Augen. Manche Panels sind so herausragend gut aufgebaut, dass man staunend davor sitzt. Ich interessiere mich in der Regel mehr für die Geschichten als für die Zeichnungen, aber Sweet Tooth lese ich explizit auch wegen ihnen. Lemires Figuren reden nicht viel, sie handeln.

Sweet Tooth ist experimentierfreudig (aber nie verkopft!). So ist Heft 12 fast wie ein Bilderbuch aufgebaut, nur am unteren Rand der Seite befinden sich zwei oder drei Zeilen Text. Heft 18 nutzt als Einziges bisher Querformat. Lemires Ideen sind immer wieder spannend und verfolgen einen Zweck. Einen guten Eindruck vermitteln bereits die Cover der Hefte, die ihr hier bewundern könnt.

Sweet Tooth ist eindeutig einer der spannendsten Titel im aktuellen Vertigo-Sortiment und ich hoffe, dass er noch sehr lange läuft. Mir fällt fast nichts Negatives ein. Einziger Kritikpunkt ist, dass die Hefte sich teils recht schnell lesen, aber der greift nur, wenn man nicht wieder einmal vor einer der Zeichnungen sitzt und merkt, dass es gar keine Worte braucht, um viel zu sagen. Eine Kunst, die Lemire wie kaum ein Anderer beherrscht.

Schaut euch dieses Preview zu Heft 1 an, wenn ihr Sweet Tooth noch nicht kennt! Auf Nerdcore gibts ebenfalls eine Besprechung mit ein paar Panels.