Liebe Leser, wider den tierischen Ernst, der uns mit allerlei Ärger nicht verschont, möchte ich euch heute das amerikanische Comiclabel Vertigo vorstellen. Dass ich mich ausgerechnet für dieses entscheide, hat natürlich einen Grund: Unter dem Vertigo- Imprint versammeln sich eine Vielzahl mir sehr lieber Comicserien, darunter so bekannte wie Sandman, Hellblazer aka John Constantine, Preacher, Transmetropolitan, Fables oder 100 Bullets. Zudem lese ich mit Vergnügen einige ihrer aktuellen Publikationen (Air, The Unwritten, Greek Street, Sweet Tooth, Northlanders, DMZ, Daytripper) , über die ich im Laufe der Zeit vielleicht auch noch berichten werde.

Vertigo wurde 1993 von DC- Comics als Ableger für erwachsenere, düsterere Comics und Graphic Novels gegründet, die kontroversere Themen aufgreifen, als es im klassischen DC- Korsett möglich gewesen wäre (DC ist neben Marvel einer der größten Comicverlag der USA und bekannt für seine Superhelden. Zum DC- Universum gehören Helden wie Batman, Superman oder Green Lantern).
In Deutschland veröffentlich der Panini-Verlag einen kleinen Teil der eher alten Vertigo- Erscheinungen als Sammelband(z.B. Sandman,100 Bullets). Vertigo- Hefte sind in Deutschland nicht im Sortiment, die gibt es nur von Bestsellern wie Batman oder Spiderman (Panini vertreibt in Deutschland DC und Marvel). Von einem ausreichendem oder gar aktuellem und vollständigem Angebot an Vertigo- Comics sind wir leider weit entfernt. So bleibt nur der Gang zum Comichändler des Vertrauens oder der Weg über das Internet, um sich die Originalhefte zu kaufen. Meiner Erfahrung nach erschließen die sich einem auch mit mittelmäßigem Schulwissen. Zumindest sprachlich.
Was ist nun besonders an Vertigo, warum erzähle ich euch von denen? Weil sie besonders sind. Was macht sie besonders?
Es sind die Autoren und Zeichner. Die Liste derer, die für Vertigo geschrieben und gezeichnet oder gar über Vertigo bekannt geworden sind, ist lang und für Comicfans liest sie sich wie ein Who is Who der Branche.
Brian Azzarello (100 Bullets, Filthy Rich), Ed Brubaker (Criminal, Incognito), Mike Carey (The Unwritten), Warren Ellis (Transmetropolitan, Freak Angels), Garth Ennis (Preacher), Howard Chaykin (Black Kiss), Mark Millar (Wanted, The Unfunnies), Grant Morrison (Animal Man, The Invisibles, The Filth), Peter Milligan (Greek Street), Brian K. Vaughan(Y: The Last Man, Ex Machina), Matt Wagner (Grendel), Bill Willingham (Fables), Paul Pope (Heavy Liquid, 100%), Brian Wood (DMZ, Northlanders).
Unter dem Vertigo- Imprint sammelte sich nicht nur Talent, sondern die Künstler wussten mit ihrer größeren kreativen Freiheit auch etwas anzufangen und schufen einige epochale Werke, die maßgeblich mithalfen, das Medium Comic aus der Schmuddelecke zu hieven und als ernstzunehmende, mitunter einmalige, Kunstform zu etablieren. Neben dem Mainstreamcomic, versteht sich, denn der existiert natürlich weiter, ohne ihn wären wohl sowohl DC als auch Marvel schon lange pleite, denn der Markt für ernsthafte Comics, die auch mal zum Nachdenken anregen, ist anscheinend kein großer.

Neil Gaiman schuf mithilfe wechselnder Zeichner von 1988 bis 1996 die Sandman– Serie, um Dream, den Herrscher des Traumreiches (bis 1993 noch nicht unter dem Vertigo- Imprint). Auf über 2000 Seiten folgen wir Dream auf mehr oder weniger verschlungenen Pfaden durch Geschichten voller Anspielungen auf Mythologien und Geschichte sowie: Geschichten. Dabei treten anfangs noch bekannte DC- Charaktere auf, mit zunehmender Sicherheit entfernte Gaiman sich aber mehr und mehr vom Bekannten und schuf etwas in dieser Form noch nicht da Gewesenes. In den USA ist Sandman noch immer Kult und hatte großen Einfluss auf die Popkultur. Heute noch gibt es Neuerscheinungen aus dem von Gaiman erdachten Universum. In Deutschland sieht die Situation anders aus. Hier hat man bestenfalls mal davon gehört, dass Neil Gaiman mit einem Comic bekannt geworden ist, kennt aber eher seine Romane (die stilistisch und thematisch übrigens dem Comic ähneln).

Dieses Schicksal teilt Sandman auch mit Preacher (1995-2000) von Garth Ennis und Zeichner Steve Dillon. Hierzulande nahezu unbekannt, sorgte es in den USA für einigen Wirbel und machte den Iren Ennis entgültig zum gefragten Comic-Autoren (ein Beruf, der so hierzulande nicht existiert, oder?). Die Geschichte von Preacher dreht sich um 3 Protagonisten: den titelgebenden Ex-Priester Jesse Custer, seine Freundin Tulip sowie den irischstämmigen Vampir Cassidy. Was die drei alles erleben kann man unmöglich widergeben, man muss es gelesen haben. Preacher ist dreckig, brutal, gemein und blasphemisch. Aber Preacher ist nicht dumm. Preacher ist Unterhaltung für Erwachsene.
Kurz zusammengefasst bieten Vertigo-Comics also erwachsenere, teils düsterere Geschichten und Zeichner, die einen ganz eigenen Stil entwickeln durften. Darüber hinaus gibt es eine gewisse Vertigo-Farbgebung. Weg von den grellbunten Superheldencomics und hin zu mehr Realismus. Das ist, ich gebe es zu, mitunter gewöhnungsbedürftig, direkt schön sind die Zeichnungen und Farben nämlich nicht immer. Manchmal braucht es Zeit und Beschäftigung, um ihre Qualitäten zu erkennen.
Falls ich euch nun ein wenig neugierig gemacht habe, geht los und gebt einem Comic eine Chance. Preacher und Sandman gibts in jeder Bahnhofsbuchhandlung, alle beide ziemlich gut eingedeutscht. Wenn ihr es aktueller mögt empfehle ich euch G. Willow Wilsons Air (ziemlich abgedrehte Story um eine junge Stewardess namens Blythe), Sweet Tooth von Jeff Lemire (postapokalyptisches Setting, Protagonist ist ein Junge mit Geweih, auch strange), Greek Street von Peter Milligan (griechisches Drama in die heutige Zeit versetzt), Daytripper von Fabio Moon und Gabriel Ba (ein Tag im Leben von Brás, jedes Heft eine in sich abgeschlossene Geschichte) oder The Unwritten von Mike Carey (befasst sich mit der Macht von Geschichten). Allesamt aktuelle Erscheinungen, teils erst vor einem Monat gestartet. Dafür braucht ihr allerdings einen Comichändler, denn die müssen importiert werden, da sie in Deutschland nicht erscheinen. Außerdem braucht ihr zumindest Schulwissen in der englischen Sprache. Comics sind keine Bilderbücher. ;)
Natürlich gibt es auch andere Comicverlage mit feinen Geschichten. Aber Vertigo ist mir in der Summe der liebste. Nur ganz wenige Ausflüge in die Mittelmäßigkeit, größtenteils absolut herausragende Veröffentlichungen.
Wenn ich die Zeit finde, werde ich euch zukünftig einzelne Serien etwas genauer vorstellen. Wenn ich den einen oder anderen von euch neugierig mache, ist das viel wert. Ich wünsche mir mehr Comic-Kultur.
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