If robots are going to steal human jobs and otherwise disrupt society, they should at the very least pay taxes.
Ich erspare euch mal das Lesen. Grad geht ein Text von CNN Money rum, Should robots have to pay taxes? Anlass ist ein Draft-Papier des Europäischen Parlaments zum Thema Robotik.
Eigentlich genau die Art von Fragestellung, die ich mag. Wie wirkt sich moderne Technologie auf unsere Gesellschaft aus? Wo müssen wir neue Regeln des Umgangs entwickeln? Usw.
Ist aber dann doch nicht wirklich interessant. Natürlich sollen nicht Roboter Steuern zahlen, sondern Menschen, die sich ihrer bedienen. Alles andere wär auch komplett unsinnig, solange Robotern nicht auch umfassende Rechte eingeräumt werden, beispielsweise Wahlrecht. Die Überschrift gibt also leider die Fragestellung nicht korrekt wieder.
Detail für SciFi-Nerds: Sollten Maschinen irgendwann soweit sein, dass sie vernunftbegabt sind und einen moralischen Code brauchen, schlägt das Papier vor, sich an good ol‘ Isaac Asimov zu halten. Find ich gar nicht mal so durchdacht. Warum sollte eine Maschine, die sich ihrer selbst bewusst ist und lernen kann, sich dran halten, wenn sie überlegene Fähigkeiten besitzt? Aber nun gut…
„The sky was the color of a television tuned to a dead channel.“
William Gibsons ikonischer erster Satz in seinem Roman Neuromancer gilt vielen Menschen, mir auch, als bester erster Satz der Welt.
Für mich und viele andere, fängt dieses Bild perfekt die Stimmung der folgenden Geschichten ein. Das ist Cyberpunk, wie man ihn besser wohl nicht schreiben kann. Eine nahe Zukunft, unsere Gesellschaft logisch weiter gedacht und in einem einzigen Satz kondensiert.
Es gibt aber auch Menschen, die den Satz nicht gelungen, die Metapher schief finden:
„A television tuned to a dead channel shows static, snow — a random and shifting collection of little black and white rectangles accompanied by audio white noise.
Das mag wohl stimmen, genau um diese Qualität geht es Gibson, glaube ich. Cyberpunk ist over the top. Wie das Bild. Unser Himmel sieht nicht so aus. Unsere Städte sehen nicht aus wie die in Neuromancer. Aber wir können extrapolieren. Entsprechend lesen sich auch die Kommentare, die man ausnahmsweise mal größtenteils empfehlen kann. Das Internet ist sich ziemlich einig.
Himmel und Stadt werden so aussehen, wenn die Entwicklung, die Gibson vorherdenkt, weit genug voran schreitet. Genau deshalb leben wir heute in Cyberpunk-Zeiten, die Dinge haben sich jahrzehntelang in diese Richtung entwickelt. Ich hätte nie gedacht, dass Cyber- mal eine Renaissance hätte.
Gibsons erster Satz ist noch aus einem anderen Grund bemerkenswert: Er ist zeitlos und das mag paradox erscheinen: Durch „television“ ist er stark an eine bestimmte Zeit gebunden. Zugleich ist er genau das nicht, indem Gibson zielsicher eine zeitgenössische Technologie gewählt hat, die wahrscheinlich zu den innovationsresistentesten überhaupt gehört: Bildschirme.
Schwer vorstellbar, dass wir Bildschirme oder zumindest Interfaces, television also, irgendwann als archaisch ansehen werden. Durch die vorgeblich schiefe Metapher enthebt Gibson sein Bild und damit das ganze Szenario außerdem geschickt jeden Anspruchs auf sogenannten „Realismus“. Der Maßstab ist vielmehr Authentizität!
Gibson beschreibt die Zukunft, in einer speziellen Sprache, die sich nicht vor Obskurität fürchtet, wenn dadurch ein passendes Bild in der Fantasie entstehen kann. Der erste Satz ist stilistisch meisterhaft. Der Leser reibt sich an der Sprache, den Leerstellen, die sich nur schwer durch Bekanntes füllen lassen. Man erschließt sich den Satz eher gefühlsmäßig, als dass man ihn wirklich verstanden hätte. So sind die Neuromancer-Bücher. Die Zukunft ist sehr wie die Gegenwart, nur noch schlimmer.
Deshalb wird Gibsons erster Satz Bestand haben. In seiner scheinbaren Einfachheit und Gegenwärtigkeit und gerade wegen der auf den ersten Blick vielleicht fehlerhaften Metapher ist er stets Gegenwart und Zukunft zugleich. Entsprechend steht man etwas ratlos davor.
Auf das Thema bin ich durch einen Artikel von Alexis Radcliff gekommen. Sie hat Wired for Story besprochen, ein Buch mit Schreibtipps von Lisa Cron, wahrscheinlich ganz gut. Die 7 wissenschaftlichen Tipps, die Radcliff daraus vorstellt, sind jedenfalls gar nicht verkehrt. William Gibson macht allerdings, es überrascht eigentlich kaum, fast alles verkehrt.
Gleich beim ersten Tipp dachte ich stark: Aber GIBSON! NEUROMANCER!
Try to answer these questions in the very first sentence or paragraph to kick things off correctly:
Whose story is it?
What’s happening here?
What’s at stake?
Nope, nope, nope. Nix davon trifft auf den ersten Satz von Neuromancer zu. Für jemanden wie mich, der erste Sätze ernst nimmt und für den erste Sätze fast eine eigene Kunstform darstellen, für deren Würdigung es Geschichten oder Romane bedarf, klingt das aber auch nach einem furchtbar langweiligen Tipp, durch den man funktionierende erste Sätze produziert, aber niemals das komplette Potenzial eines ersten Satzes erschließen wird.
Aber der Tipp ist schon gut. Große Sprachkünstler werden wohl kaum aufgrund eines Ratgebers ihrer Expressivität beraubt. Wer die Tipps verstanden hat, kann sie aus einer informierten Perspektive missachten, wenn es geraten ist.
Jetzt seid ihr dran: Ich kann nicht alles gelesen haben. Was ist eurer Meinung nach der beste erste Satz der Welt? Ich würde gern mehr über erste Sätze lesen und diskutieren. Hallo Internet, stimmen wir ab! Gibson hat Vorsprung!
Alle Medien, mit denen man Geschichten erzählen kann, kämpfen um unsere Aufmerksamkeit, auf Leben und Tod. Wer bleibt übrig? Zur Wahl stehen Film, Fernsehen & Webserien, Spiele, Prosatext, Virtuelle Realität (VR) sowie Comics.
Auf wen setzt ihr euer Geld? (Nutzt meine shitty Kommentarfunktion!)
Right now, the world of indie feature films is fucked up.
‚MG‘ […] is ‚Minimum Guarantee‘ — what novelists would call an ‚advance‘. In the film world, thanks to the miracle of Hollywood Accounting, the MG is likely to be all the money you ever see from a film. (Both „Blair Witch“ and „Lord Of The Rings“ technically lost money, meaning the studios didn’t owe any royalties.)
The only other narrative medium that’s changing as fast as film right now is VR.
Televison’s a refugee camp right now, where half of the hollow-eyed survivors wandering around in a daze are absent-mindedly clutching Oscars.
If you have any interest in gaming as a creative medium, I urge you to download either the latest Unity or the latest Unreal Engine release. They’re astonishingly easy to use; you’ll be able to create a playable game inside about two hours if you have any familiarity with programming or 3D tools, and probably about three hours if you don’t. They’re absolute powerhouses of software, powering most of the latest big releases right up to AAA games in Unreal’s case. Oh, and they’re free. Barring some reasonable royalty agreements, completely free.
That’s insane.
If you’re very focused, have innovative ideas for ways to tell stories through games without spending too much time on them, and are good at making friends with journalists, indie games are an interesting option for a storyteller right now.
Prose is interesting because it’s the only one of the artforms I’m discussing here that has gone through a revolution in distribution but not in creation. […] [P]rose distribution is the only one of these artforms that has really seen a frictionless, practical self-distribution framework emerge.
There are two huge problems with VR for a storyteller at present. First, not that many people have a VR headset. Secondly, no one has the faintest idea how to tell stories in VR.
VR experiences aren’t even that hard to make. Unity and Unreal both work natively with the Rift — it’s essentially no harder to make a Rift game than to make, well, a game.
The combination of rapid development time and the large audience makes webcomics unusually practical from a financial perspective
[S]everal people are predicting a massive crash in the studio world in the near future when a couple of tentpole blockbusters fail badly, and I’m inclined to think the odds of that happening are good.
The sheer quantity of indie features being made right now – 10,000+ a year or more – also all but guarantees that we’ll see an E.L. James style breakout hit from the truly indie film world in the near future; probably more than one.
I’m less than convinced about the long-term viability of the feature format, because it’s dependent on the cinema as a long-term cultural artifact.
VR is either going to fail utterly or be huge, for values of ‚huge‘ meaning ‚bigger than the mobile phone‘. I don’t think it’s possible to overestimate the impact of the first genuine reality simulation.
VR isn’t just a game-changer — it’s a reality-changer.
[I]t may be that VR fails and the second horseman of the VRpocalypse, Augmented Reality, ends up being the real winner. That’s certainly what Microsoft are betting on with their Hololens.
At which point, the best guide I could give to the future of entertainment would be to say „Have you heard of this guy called Charles Stross? He wrote a couple of books a few years ago that you might find interesting…“
Los geht’s mit einem faszinierenden Text über Bewusstsein, Gehirne, Transhumanismus, die Grenzen der Persönlichkeit und warum wir alle bereits Hive Minds sind: Hive consciousness.
„English’s relative share of cyberspace has shrunk to around 30%, while French, German, Spanish and Chinese have all pushed into the top 10 languages online.“ Google erkennt 30 europäische Sprachen, aber nur eine afrikanische. Im Chinesischen lässt sich in 140 Zeichen deutlich mehr sagen als im Deutschen. Das Internet basiert auf Text, auf Sprache und ist daher nur so groß, wie unsere Sprachkenntnisse – The digital language divide ist voller interessanter Details.
Related: How to learn 30 languages, darüber, wie Sprache unser Gehirn fordert und trainiert und wie manche Menschen (Hyperglots) es vermögen, bis zu 30 Sprachen zu erlernen. Es scheint, als wäre die Hypothese, dass nur Kinder so richtig gut Sprachen erlernen können, weil ihr Gehirn eine höhere Plastizität aufweist und dass Erwachsene sich viel schwerer damit tun würden, nicht ganz zutreffend.
No one cares about your jetpack: on optimism in futurism. Plädoyer einer Futuristin gegen Optimismus im Futurismus, letztlich sogar gegen den Versuch präziser Vorhersagen überhaupt und trotzdem auch eines für die Beschäftigung mit der Zukunft.
Entgegen dem noch immer weit verbreiteten Vorurteil, reden Frauen in Diskussionen weniger als Männer. Why women talk less beschäftigt sich damit, woran das liegen könnte und wie es sich ändern lässt.
The Status of Women in the States provides data on women’s progress in 50 states, the District of Columbia, and the United States overall. Sehr cool. Hätte ich gern für mehr Länder, möglichst viele.
Wenn eine Gesellschaft sich durch einen 12-jährigen Afroamerikaner eher bedroht fühlt als durch 170 Mitglieder einer (weißen) Biker-Gang, die um sich schießen, hat sie ein offensichtliches Rassismusproblem. Biker Gangs, Tamir Rice, And The Rise Of White Fragility über White Fragility in den USA. Lässt sich aber auch auf andere Länder übertragen.
Was, wenn man Tod und Sterben als Problem sieht und versucht, ein Business darauf aufzubauen, ein Produkt zu entwickeln, das den Menschen Tod und Sterben erleichtert? Dieser Frage geht Death, Redesigned nach.
Überrascht mich jetzt nicht direkt, aber da es viele kluge Menschen gibt, die Emojis regelrecht hassen: Emojis bereichern unsere Kommunikation und sie werden zukünftig eher mehr als weniger genutzt werden. There’s Nothing Lazy About Using Emojis to Communicate.
Man kann angesichts des aktuellen Erfolgs schnell vergessen, dass es um den Jahrtausendwechsel rum gar nicht gut um Marvel Comics stand und Brian Michael Bendis, ein unbekannter Indie-Comics-Autor, fast die letzte Hoffnung für Marvel war. The Secret History of Ultimate Marvel erzählt die Geschichte des Reboots, der Marvel wieder auf Erfolgskurs gebracht hat und warum Marvel 15 Jahre später trotzdem (fast) alles wieder rückgängig macht.
Starten wir gleich mit dem Artikel, der diese Woche mutmaßlich signifikant häufiger geteilt als gelesen wurde: Host von David Foster Wallace, internetfein gemacht von The Atlantic. Da Wallace eine Vorliebe für Fußnoten (und Fußnoten in Fußnoten!) hatte, war das nötig. Muss ich selbst erst noch lesen, bei Wallace macht man aber nichts verkehrt, wenn man ihn empfiehlt.
Triggerwarnungen oder Safe Spaces sind kein übertriebenes „political correctness“-Geschwätz, sondern logische Entwicklung, daraus folgend, dass wir heutzutage posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und Trauma viel besser verstehen, schreibt Jeet Heer in Stress Test.
Mir war William Horton bisher kein Begriff, aber vor 30 Jahren hat der Fall die Gemüter in den USA erhitzt. Bis heute fahren Politiker, was Sträflinge und Hafturlaub angeht, besser eine harte Schiene, egal ob Republikaner oder Republikaner. Alles wegen Horton, der Präsidentschaftswahl 1988 und so gewieften wie skrupellosen Beratern: Willie Horton Revisited.
The Spectacular Flight and Rough Landing of the Freedom Jumpers hat den Prozess dreier Base Jumper begleitet, die 2013 vom noch in Bau befindlichen One World Trade Center gesprungen sind und daraufhin verhaftet wurden. Den Freedom Jumpers drohen viele Jahre Gefängnis, sogar ihrem Fahrer! Es wirkt, als solle an ihnen ein Exempel statuiert werden. Aber warum eigentlich? Ist ihr Base-Jump nicht ein Verbrechen ohne Opfer bzw. eine Opferlose Straftat?
Leider bin ich derzeit nicht up-to-date, aber Saga von Brian K. Vaughan und Fiona Staples ist seit Jahren einer der besten Comics überhaupt, vielleicht der beste im „Mainstream“. Nachdem ihr How Brian K. Vaughan Builds Epic Stories gelesen habt, wisst ihr auch, warum das kein Zufall ist.
Queers Read This, ein Flyer, den die Queer Nation 1990 auf der New York Gay Pride Parade verteilt hat.
Wieviele Videos und Bilder von Morden und tödlichen Unfällen habt ihr schon gesehen im Leben? Von Rotten bis zu ISIS oder Walter Scott – das Internet ist voll davon. Death in the Browser Tab beschäftigt sich damit, was es für Auswirkungen hat, dass der Tod uns auf die Art einerseits näher rückt, in unseren Alltag eindringt, zugleich aber auch fremder und anonymer wird, uns unwirklicher vorkommt.
By Reason of Insanity erzählt die spannende Geschichte von Daniel Sickles, der 1859 den Geliebten seiner Ehefrau mit drei Pistolen erschossen hat und dann als Erster in den USA erfolgreich auf Unzurechnungsfähigkeit plädierte.
Rowan Cota, darüber, wieso sie über ihre Vergewaltigung nicht offen sprechen kann: A follow up to „We are not things“. Falls euch mal wieder jemand erzählen will, dass Rape Culture nicht existiere, jedenfalls nicht hier usw. – Sie existiert, sie wirkt, wir sind Teil davon und sie lässt Menschen nicht offen reden.
FEMEN sind aus vielen Gründen kritisch zu betrachten bzw. abzulehnen, einer davon, dass sie „imperialistischer Feminismus“ sind, der die Leistungen vieler afrikanischer Aktivistinnen, die lange vor ihnen bereits erfolgreich Nacktheit als Mittel des Protests nutzen, ignoriert und unsichtbar macht. Bodies That Matter: The African History of Naked Protest, FEMEN Aside
Ein schwedischer Designer hat einen Vorschlag für eine Flagge der Erde gemacht. Geht so. Aber mir gefällt der Idealismus, der dahinter steckt.
Der Spieleentwickler Mac Cauley hat für den Oculus‘ Mobile VR Jam 2015 ein in 3D begehbares Gemälde von van Gogh geschaffen: The Night Café. Sehr cool, Virtual Reality ist hochinteressant aktuell.
Richard Prince verkauft ausgedruckte Screenshots von anderer Leute Instagram-Fotos als Kunst. Nach geltenden Gesetzen (fair use) ist das wahrscheinlich legal, weil Prince den Bildern jeweils einen eigenen Kommentar hinzufügt. Gelungene Provokation und ein wichtiger Kommentar zu Copyright-Foo oder glatter Diebstahl? Ich finde „New Portraits“ eher gelungen, lest aber unbedingt auch Richard Prince Sucks, in dem wichtige Kritikpunkte formuliert werden.
In Like the Force, Copyright Law is About Balance macht sich Casey Rae Gedanken über Copyright bzw. Urheberrecht und wie es beschaffen sein müsste, damit tatsächlich Urheber davon profitieren und Kunst schaffen incentiviert wird. Kein langer Artikel, aber recht ausgewogen.
Nicht die Algorithmen sind das Problem, sondern die Gesellschaften, die sie entwickeln, behauptet You Can’t Handle the (Algorithmic) Truth. Ich bin geneigt, dem zuzustimmen. Auch, weil ich letztens erst einen Artikel gelesen habe, der in eine ganz ähnliche Richtung zielt: From Mega-Machines to Mega-Algorithms. Gerede von „algorithmischer Verantwortlichkeit“ verkennt die eigentlichen Probleme.
Wenn man einmal anfängt, sich darüber Gedanken zu machen, was Farben eigentlich sind und wie jeder Einzelne sie verschieden wahrnimmt, wird es schnell wunderbar komplex: Does Color Even Exist?
Welcome back! Letzte Woche zuviel des Guten, hm? Ich werde versuchen, mich dieses Mal stärker zu beschränken!
Die Büroklammer ist ein Objekt, über das man nur selten nachdenkt. Lohnt sich aber. Sie wurde 1899 designt und das gleich so perfekt, dass sie bis heute nicht verbessert wurde. Auch sonst ist die Geschichte der Büroklammer spannendes Lesefutter.
Into the body off another ist ein schockierender Text über die fragwürdige, in den USA nicht unübliche Praxis, Frauen, die während der Schwangerschaft Drogen konsumieren, ins Gefängnis zu stecken und ihnen ihre Kinder wegzunehmen.
Bienen geht es schlecht Kann die Wissenschaft Bienen verbessern oder brauchen wir bald Roboterbienen? Building Bees
Seit Jahrzehnten an vorderster Front im Kampf gegen die NSA? Bibliothekarinnen! Librarians Versus the NSA
Wie das Spiel No Man’s Sky versucht, ein ganzes Universum zu simulieren: World without end
Das jahrzehntelange Verbot von Forschung an und mit Cannabis führt dazu, dass es jetzt zwar endlich legalisiert wird, man aber immer noch viel zu wenig über Chancen und Risiken weiß. The Great Pot Experiment
Halle (Saale) gilt im Allgemeinen nicht als schöne Stadt. Verständlich, wenn man sich dieses Video von Halle zu DDR-Zeiten und kurz nach der Wende so anschaut.
Ich bin in Halle/Saale (das man seit 1995 korrekterweise wieder „Halle (Saale)“ schreibt) geboren und habe dort bis Mitte der 90er meine Kindheit verbracht. Ich kenne die Stadt also in dem Zustand, der videohai02 so schockierte, als er im Frühjahr 1990, nach einem Besuch in Wernigerode im Harz, noch einen Abstecher nach Halle machte. „Die Stadt war buchstäblich am verfallen.“ Ich war in der Grundschule. Gerade erst war der schulpflichtige Samstag offiziell abgeschafft worden.
Halle ist „Meine Stadt“, wie in „Meine Familie“ – man sucht sie sich nicht aus. Ich möchte heute nicht mehr in Halle wohnen. Aber ich möchte zumindest einmal in einem langen Text davon erzählen.
Viele Dinge im Video kann ich gut in Einklang mit meiner Erinnerung bringen. Alles war grau in Halle zu dieser Zeit. Überall Kohlestaub und Schlimmeres, das Dichtungen zerfraß und alte Statuen. Saurer Regen und Waldsterben. Tchernobyl und Pseudokrupp.
Das war aber nicht nur in Halle so. Viele Städte in der Region schienen nur zu existieren, damit Arbeiter in den Industrieanlagen Buna und Leuna irgendwo wohnen konnten. Im Schatten dieser riesigen, unfassbar komplex aufgebauten Fabriken mit ihren vielenTanks und Schornsteinen und Rohren, die im Sonnenlicht glänzten, kamen sie immer weiter herunter und wurden immer schwärzer von Ruß und Industrieabgasen. Die Luft roch nach verbranntem Holz und Kohlen, manchmal nach faulen Eiern, manchmal unangenehm süßlich.
Der Putz bröckelte überall von den Fassaden, auch an dem Haus, in dem wir 1990 schon seit ein paar Jahren wohnten. Die erste Wohnung meiner Eltern. Das Haus war ein Altbau, drei Eingänge, die zu je sechs (oder acht?) Wohnungen führten. In fast allen Wohnungen wohnten junge Familien.
Alle Fenster waren blind. Gegenüber vom Haus war ein Krankenhaus mit Park. Die Straße vorm Haus war voller großer Schlaglöcher, weil manchmal Panzer mit lauten Motoren und quietschenden Ketten auf ihr am Haus vorbei fuhren, Richtung Dieselstraße. Einmal ist ein Trabi in die Hauswand gekracht. Beim Fleischer bekam man eine Scheibe Leberkäse geschenkt. Überall gab es Schleichwege und Abkürzungen.
Aus dem Kinderzimmer, das ich mir mit meiner jüngeren Schwester teilte, blickte man auf eine Wiese hinterm Haus, etwas weiter entfernt auf ein Kraftwerk mit hohem Schornstein. Laut war das nur, wenn Dampf abgelassen wurde. Sonst noch Gleise und dicke Rohrleitungen.
Ebenfalls in dieser Richtung und mit dem Fahrrad gut zu erreichen, befand sich der Hufeisensee, in dem wir oft badeten. Ein künstlicher See, entstanden durch den Abbau von Braunkohle und Kies. Mit Pumpen verhinderte man ein Ansteigen des Wasserspiegels, da der See keinen Ablauf besaß. Als 1989 die für die Pumpen zuständige LPG aufgelöst wurde, war damit Schluss. Zur Zeit des Videos war keine der Pumpen im See mehr aktiv. 1997 hat man schließlich einen Abfluss in einen naheliegenden Bach geschaffen. Am Hufeisensee wurden immer mal wieder Leichen gefunden, meist Frauen oder Kinder. Das hab ich mir gemerkt.
Die Masse an leeren, zerfallenden Häuser in dem Video überrascht mich etwas. Sowas fällt einem als Kind wohl nicht so auf. Ich war daran gewöhnt. Ich war ein Altbaukind und Altbauten schätzte man nicht so wie heute. Lieber baute man ganze Neubauviertel und ließ den Rest verfallen oder plante sogar den Abriss, der aber nie umgesetzt wurde. Zumindest eine bestimmte Zeit lang waren stattdessen überall die traurigen Häuser.
Die verbeulten Metalltonnen wurden nach der Wende schnell durch Plastiktonnen ersetzt. Die Kohleöfen in den unsanierten Altbauten blieben länger. So brannten die Tonnen oft. Nicht schlimm, ihr Stellplatz war ummauert, aber die Luft wurde dadurch nicht gerade besser. Außerdem hatte auf einmal jeder ein eigenes Auto.
Zu DDR-Zeiten war es nicht selbstverständlich, ein eigenes Auto zu haben. Man konnte sie nicht einfach kaufen wie heutzutage. Wie fast alles wurden sie einem zugeteilt. Man meldete sein Interesse daran, ein Auto kaufen zu wollen, ganz offiziell an. Die Produktion hinkte der Nachfrage stets hoffnungslos hinterher.
Da man wusste, dass es Jahre dauern würde, ehe man dann auch tatsächlich sein Auto bekam, meldete man schon früh im Leben (wie man vieles früher im Leben tat) für einen PKW an, oft schon zum 18. Geburtstag. Es gab den günstigen Trabant und den etwas luxuriöseren, aber teureren Wartburg. Auf einen Wartburg musste man außerdem länger warten als auf einen Trabant.
Meine Eltern hatten einen Wartburg bestellt. Auf Ausstattung oder Farbe hatte man keinen Einfluss. Wartburg oder Trabant war die einzige Entscheidung, die man vorm Autokauf treffen musste. Es gab auch noch ein paar andere Fabrikate mit Namen wie Lada oder Moskwitsch, aber die spielten eigentlich keine Rolle.
War schließlich ein Auto für einen bereit, musste man direkt den kompletten Kaufpreis bezahlen, Ratenzahlung auf Kredit war nicht möglich. Das war in der Regel aber kein Problem, da man zwischen 12 und 17 Jahre auf den großen Moment hinsparen konnte. Um Arbeitslosigkeit musste man sich auch keine Gedanken machen.
Ein Auto kostete für DDR-Bürger ordentlich Geld (ich las, dass man 1989 bis zu 12000 Mark dafür zahlen musste), war aber eine gute Geldanlage. Zumal man sein Geld nicht in Aktien oder Eigenheim investierte, dafür waren die Mieten auch viel zu niedrig. Wohnen war billig, auch dank massenhaften Wohnungsbaus. Im Schnitt gingen nur 5 Prozent des Einkommens für Miete drauf. Allerdings konnte man sich auch seine Wohnung nicht einfach aussuchen, sie wurde einem zugewiesen.
Familien mit Kindern wurden dabei bevorzugt. Man gründete früh eine Familie. Man beantragte einen Ehekredit, um sich Möbel und was man sonst so braucht, anzuschaffen. Mehrere Kinder wirkten sich dabei positiv aus. Meine Mutter war in der Ausbildung zur Kindergrippenerzieherin und blieb nicht lang daheim. Sie nahm mich einfach mit zur Arbeit. Ich ging in den Kindergarten und danach in Schule und Schulhort.
Ich spielte viel draußen, es gab viele Kinder meines Alters in der Straße. Ich kann mich nicht erinnern, dass es Klettergerüste gegeben hat. Wir spielten im Sandkasten, später auch an Treppengeländern, Wäschestangen und der Stange zum Teppiche klopfen. Aufgestellte halbe Traktorreifen konnte man erklettern oder man versteckte sich darunter. Wir machten hundert Rollen vorwärts auf der Wiese oder spielten Federball.
Meine Eltern haben den bestellten Wartburg nie bekommen. Im Nachhinein waren sie darüber froh. Wie fast alle haben wir nach der Wende sehr schnell ein Auto gekauft, von der Westverwandtschaft zu einem guten Preis. Ein nicht mehr so neuer Toyota Corolla. Meine Eltern wurden nicht über den Tisch gezogen, aber vielen wurden damals überteuerte Schrottkarren verkauft. Das war leicht. Die Menschen waren überwältigt von den Möglichkeiten und verunsichert durch die veränderte Realität.
In der DDR waren Autos im Durchschnitt 12 Jahre alt. Sie wurden von ihren Besitzern gepflegt, was angesichts der langen Wartezeiten verständlich ist und noch aus einem anderen Grund sinnvoll war:
Der Gebrauchtwagenmarkt (oder Schwarzmarkt, die Grenzen sind fließend, gewerblicher Autohandel war komplett verboten) funktionierte in der DDR etwas anders, als wir das kennen. Gebrauchtwagen waren teils deutlich teurer als ein Neuwagen. Die Faustformel war: Kaufpreis des Neuwagens mal zwei, abzüglich 1000 Mark für jedes Jahr der Benutzung.
Ein gut gepflegter Wagen war was wert, sozial und finanziell. Gebraucht war nicht schlechter als neu und nicht weniger wert. Man schraubte viel. Es gab Werkstätten, aber ohne Ersatzteile ging da nichts und wenn man sich ein Ersatzteil selbst besorgt hatte, konnte man die meisten Reparaturen auch gleich selbst vornehmen. Das Besorgen war die eigentliche Leistung. Dinge besorgen können, war ein ganz eigenes Talent. Meine Oma konnte Dinge besorgen, aber das ist eine eigene Geschichte.
Der bundesdeutsche Gebrauchtwagenmarkt war dann sicher eine ziemliche Umstellung für viele DDR-Gewohnte. Es wird verständlicher, wieso soviele DDR-Bürger sich kurz nach der Wende so leicht abzocken ließen.
Es war jetzt plötzlich vieles anders, im Großen und im Kleinen, aber manches blieb genau gleich. Im Video wirkt Halle fast wie ausgestorben, die Menschen sehen verloren aus und lethargisch. Wahrscheinlich war das auch so – Menschen hatten auf den Straßen nichts verloren. Halle war Wohnraum, nicht dafür gemacht, dass Menschen in seinen Straßen flanierten und die Schönheit des Stadtbilds genossen.
Gegen die ständige Wohnungsknappheit hatte man mehrere Neubaugebiete gebaut, das wichtigste davon Halle-Neustadt. Ursprünglich als Stadtteil von Halle geplant, war Ha-Neu ab 1967 eine eigene Stadt mit fast 100.000 Einwohnern, verbunden mit Halle durch eine Hochstraße, die Magistrale. Eine von Beginn an geplante Straßenbahnverbindung zwischen Halle und Halle-Neustart wurde erst viele Jahrzehnte später gebaut.
Meine Eltern sind beide in Neustadt großgeworden, meine Großeltern wohnen bis heute in zwei nebeneinander liegenden Blöcken. Sie wohnen hier seit Neustadt gebaut wurde, also seit den 60ern. Von drei Generationen sind sie, die ursprünglich mal Zugezogenen, die letzten in Halle verbliebenen.
Ringsherum reißt man seit mehreren Jahren mehr und mehr Wohnblöcke ab. Halle-Neustadt soll wieder schön werden. Es ist angesichts des seit vielen Jahren desolaten Zustands schwer zu glauben, aber Neustadt war vor 50 Jahren ein Gebiet, in dem man wohnen wollte.
Die Wohnungen waren modern, die Infrastruktur gut, obwohl die „Sozialistische Stadt der Chemiearbeiter“ nur als „Schlafstadt“ konzipiert wurde. Alles war in der Nähe: Einkaufsmöglichkeiten, Ärzte, Kleingärten, ein Badesee, ein Fußballplatz, Schulen, Gaststätten, eine Post, etc. Die Stadtplaner ließen anfangs sogar Platz für großzügige Grünflächen. In die Altstadt war es auch nicht weit, es fuhren immerhin Busse und S-Bahnen.
Bis wieder Menschen in Neustadt wohnen wollen, ist es ein langer Weg. Die leeren, teils ausgebrannten Skelette von Hochhäusern, die einen noch immer begrüßen, wenn man von Halle nach Neustadt fährt, wirken jedenfalls maximal abschreckend. Die Infrastruktur funktioniert nicht mehr. Die Menschen haben andere Ansprüche. Aber man sucht nach Lösungen, nicht nur in Neustadt.
Noch kurz vor der Wende wurde Silberhöhe gebaut, ein weiteres Neubaugebiet. Zwischen 1990 und 2005 verlor Halle sage und schreibe 80.000 Einwohner, Silberhöhe drei Viertel seiner Bewohner. Niemand wollte mehr in den Neubauten wohnen. Silberhöhe soll jetzt Waldstadt werden. Ungefähr die Hälfte der Häuser wurden oder werden zurückgebaut. Dafür wird ein Stadtwald gepflanzt, die Gegend renaturalisiert.
Einen Stadtwald bräuchten meine Großeltern sicher nicht.
Mein Opa mütterlicherseits hat keinerlei Verständnis für Denkmalschutz. Alte Häuser sollte man durch neue ersetzen. Das wäre bloß vernünftig.
Meine Oma väterlicherseits stört vor allem, dass es kaum noch Ärzte in der Umgebung gibt. Einer der Gründe, warum sie vor vielen Jahren nach Neustadt gezogen ist, war genau diese Nähe zu allem, was der Mensch so braucht. Hier konnte man alt werden.
Alle beide stören die steigenden Mieten, seitdem man ihre Wohnblöcke saniert hat, obwohl die insgesamt immer noch vergleichsweise niedrig sind. Solange sie es können, werden sie Frühling und Sommer in ihren Kleingärten ganz in der Nähe verbringen. Sie haben Gärten in derselben Gartenanlage.
Die Altstadt Halles sieht heute in weiten Teilen wieder ganz ansehnlich aus. Die meiste alte Bausubstanz, die von Zerstörungen während des 2. Weltkriegs größtenteils verschont geblieben war, weil die Hallenser sich ziemlich kampflos ergaben, hat man mittlerweile restauriert, so dass die Innenstadt durchaus schön genannt werden muss und offenbar sogar genug für Touristen zu bieten hat. Immerhin können die in Halle über 1200 Jahre Stadtentwicklung beobachten, gute und schlechte Zeiten.
Selbst der ehemalige Ernst-Thälmann-Platz, lange schon umbenannt in Riebeckplatz, soll heutzutage ziemlich gefahrfrei zu befahren sein. Wir sind irgendwann weggezogen und fast alle anderen auch.
Ich habe nach dem Abitur nochmal eine Zeit lang in Halle gewohnt, aber da war schon vieles ganz anders und ich mit Student sein beschäftigt. Die Altstadt war schon wieder hübsch. Neustadt voll im Niedergang begriffen. Kaum noch etwas erinnerte mich an früher. Die Straße meiner Kindheit ist jetzt schön asphaltiert, die Häuser sind apricot und tiptop saniert.
Soweit meine Gedanken nach dem Anschauen des Videos von Halle im Jahr 1990. Meine Stadt. Gibt es über Deine Stadt was Spannendes zu erzählen?
Der beste Text, den ich diese Woche las, beschäftigt sich mit dem schönen Thema Autassassinophilie, also der Lust an der (Inszenierung der) eigenen Tötung. Have you ever thought about killing someone? ist lang, beunruhigend und ein Must-Read.
Keine Ahnung, wieso die Tipps von The Nib nur „für Ihn“ sein sollten. Eigentlich kann man sie universell anwenden. Sei’s drum: How To Drive Him Crazy In Bed.
Bereits vor 250 Jahren hat ein gewisser John Harrison eine Pendeluhr entworfen, die über 100 Tage bis auf eine Sekunde genau gehen sollte. Man hat ihn dafür für verrückt erklärt. Jetzt steht fest: Harrisons Design funktioniert.
Nichts Neues, aber neuerdings werden lesenswerte Artikel darüber geschrieben: In den meisten Online-Rollenspielen gibt es systembedingt früher oder später verwaiste Gebiete, die nahezu „menschenleer“ sind. Forgotten Wonders of the digital world hat sich World of Warcraft vorgenommen. Ich find das Thema spannend, ein weiteres Themenfeld für sowas wie digitale Archäologie, der ich eine bedeutende Zukunft vorhersage.
The Birth Tab ist ein stranger, kleiner kurzer Animationsfilm von Ben Wheele, der überhaupt eine Menge strange, kleineKurzfilme macht. aber wenn ihr Retro-Cyberpunk genauso interessant findet wie ich, durchaus einen Blick wert. „A woman travels through virtual space, hoping to find ‚The Birth Tab‘ – a mythical object that enables a person to witness their own birth, via live webcam feed.“
Clickbait ist die Pest, aber von Shauna Lynn Panczyszyn für ihr ClickBait Project gemalt zu werden lässt die übertriebenen Überschriften fast ein bisschen reizvoll erscheinen.
Moore’s Law oder das Mooresche Gesetz (wie unschön im Deutschen!), aus dem Jahre 1965, besagt, „dass sich die Komplexität integrierter Schaltkreise mit minimalen Komponentenkosten regelmäßig verdoppelt; je nach Quelle werden 12 bis 24 Monate als Zeitraum genannt.“ (Quelle: Wikipedia) Praktisch heißt das, dass eure Smartphones immer smarter werden. Größer gedacht allerdings, dass der technische Fortschritt exponentiell voran schreitet. Ich bin nicht der Meinung, dass Fortschritt ein kontinuierlicher Prozess ist, der stets zu noch mehr Fortschritt führt, aber zumindest was technische Errungenschaften angeht, scheint das Gesetz wahr.
Moore’s Law was not the first, but the fifth paradigm to provide exponential growth of computing. pic.twitter.com/ajDr0qLbZ0
Eigentlich schreib ich das alles nur, damit ihr den folgenden Artikel lesen wollt: When Exponential Progress Becomes Reality. Der beschäftigt sich vor Allem mit Ray Kurzweils „Law of Accelerating Returns“, das auf Moore’s Gesetz aufbaut und warum die meisten Menschen so verdammt schlecht darin sind, die Zukunft vorherzusagen, während Kurzweil dies immer wieder ziemlich eindrucksvoll gelingt.